Die Aussaat von Freilandorchideen

Eine Darstellung von Herrn Dr. Claus Rüdiger Bernert

- Einleitung -



Die Idee dieser Darstellung ist es, Anfänger über die Möglichkeiten zu informieren, wie man Orchideen aus Samen vermehren kann. Dabei wird vor dem Einstieg in die Praxis mit etwas theoretischen Überlegungen begonnen. Ich selbst habe 2005 mit zunächst recht primitiven Methoden angefangen, die sich dann durch Versuch und Irrtum immer weiter verfeinert haben, inzwischen habe ich viele Gattungen und Arten vermehrt. Die meisten bringe ich auch mit mehr oder weniger Ausbeute zur Keimung und zur weiteren Entwicklung, erlebe dabei aber oft Überraschungen und lerne auch immer noch neue Zusammenhänge und Rückschläge kennen. Eine der größten Herausforderungen ist das erfolgreiche Auspikieren der sterilen Sämlinge von schwierigeren Arten in die unsterile Natur, die damit verbundenen Probleme sind aber lösbar. Zwar habe ich mich letztlich auf Erdorchideen konzentriert, aber da die Vermehrung der epiphytischen Arten eigentlich leichter ist, kann man die Anleitungen ohne weiteres auch dafür übernehmen. Ich selbst habe aber auch ein paar Epiphyten aus Samen vermehrt. Es werden hier sowohl die sog. asymbiotische Vermehrung auf sterilen Nährböden als auch die symbiotische Vermehrung mit Hilfe von Symbiosepilzen beschrieben und diskutiert.

Man kann also als Anfänger beginnen, meine Methoden kennen lernen, sie mehr oder weniger ganz oder mit Modifikationen übernehmen, um sich dann mit mir weiter in den noch unbekannten Teil vorzuwagen. Es gibt keinen alleingültigen Weg, viele Wege führen zum Erfolg. Viele Details einer erfolgreichen Kultur sind auch noch nicht in der Öffentlichkeit bekannt. Das liegt daran, dass die Züchter natürlich viel Arbeit in ihre eigenen Kulturen gesteckt haben und nun davon leben wollen. Das Wissen ist aber meist nicht patentierbar, oder die Kosten für eine Patentierung sind im Vergleich zu den erzielbaren Gewinnen zu hoch. Außerdem lässt sich eine Patentverletzung auf diesem Gebiet kaum kontrollieren. Man täusche sich nicht über die hohen Preise bei einzelnen Arten, sie sind durch den hohen Aufwand meistens gerechtfertigt. Und der hohe Preis, z.B. bei seltenen Cypripedienarten, sagt ja noch nichts über die damit erzielten Umsätze, d.h. die Gewinnsituation. Man muss also die kleinen Geheimnisse der kommerziellen Züchter akzeptieren. Wir wollen für uns selbst Methoden erarbeiten, mit denen wir in unserem privaten Rahmen zufriedenstellende Ergebnisse erreichen. Dazu ist auch der intensive Austausch von Informationen erforderlich.


Teil 1 - Einführung in die asymbiotische Vermehrung


Orchideen aussäen, das hört sich doch gut an. Leider ist das nicht so einfach wie bei Radieschen. Der Grund ist einfach und dennoch kompliziert: Orchideensamen enthalten bis auf ganz wenige Ausnahmen keine Reservestoffe, so wie z.B. Getreide, Erbsen, Bohnen oder die schon erwähnten Radieschen. Diese Reservestoffe, zumeist in Form von Stärke, liefern ihnen in der ersten Zeit nach der Keimung die notwendigen Energien,  bis sie schließlich selbst Chlorophyll gebildet haben, mit dem sie sich dann durch Nutzung der Sonnenenergie allein weiter entwickeln können.

Wie funktioniert das dann eigentlich bei den Orchideen? Da hat die Natur durch eine jahrtausendelange Evolution ein an sich recht trickreiches Verfahren entwickelt, bei dem auf diese Reservestoffe verzichtet werden kann. Damit kann die Orchidee im Vergleich zu anderen Pflanzenfamilien ein Vielfaches der normalen Samenmenge produzieren, die der Wind über große Flächen verstreut und damit die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Verbreitung erhöht. Die Samen müssen dort auf den Boden fallen bzw. in die Oberfläche eindringen, wo geeignete Bodenpilze vorhanden sind. Es wird angenommen, dass Orchideensamen sogar die Alpen überfliegen können.

Hier ein Beispiel für Orchideensamen, es ist Bletilla striata.

Man erkennt die lang gestreckte sog. Testa, das sind die abgestorbenen Zellen, die den Samen die guten Flugeigenschaften verleihen. Manche Testae sind leer, in anderen erkennt man die gelblich gefärb- ten eigentlichen Samen. Sie bestehen im Prinzip nur aus einer dünnen, aber sehr festen Hülle, der Carapace (Panzer) und dem aus meistens ca. 30 Zellen bestehenden Embryo. Die Hülle schützt den Embryo, scheint aber auch an der Keimhemmung der Samen direkt nach der Reife beteiligt zu sein. Entweder lässt sie das zur Keimung benötigte Wasser nicht durch, oder sie enthält auch Stoffe, welche die Keimung zunächst behindern. Diese Samenhülle ist auch der Grund, weshalb wir relativ brutale chemische Mittel einsetzen müssen, um die Embryonen zur Keimung zu bringen. Aber zunächst zur Keimung in der Natur.

Die Samen von Orchideen sind sehr klein, z.B. 0,3 mm lang bei Orchis mascula und 0,9 mm lang bei Dactylorhiza maculata. Samen von tropischen Arten können noch wesentlich kleiner sein.

Hier ist noch ein Samen der Cephalanthera longifolia, der sehr lang ist. Man kann hier die dunkle Samenhülle erkennen, die wie ein Schutzschild wirkt.

Die winzigen Samen, meistens Tausende pro Samenkapsel, enthalten kleinste Mengen an bestimmten Lockstoffen, z.B. Fette, welche bestimmte Bodenpilze anlocken, die nun die Embryonen in den Samen verzehren wollen. Die Hyphen der Pilze, das sind diese ganz dünnen grauen Fasern, die man oft im Boden an Wurzeln erkennen kann, können die Samenhülle an bestimmten Stellen durchbohren, dringen dann in die äußeren Zellen des Embryos ein. Statt ihn aber nun zu verdauen werden sie selbst von den weiter innen liegenden embryonalen Zellen verdaut. Von daher ernährt der Pilz die keimende Orchidee, dies kann bei einigen Arten lebenslang geschehen, bei anderen nur bis die Pflanze sich durch Photosynthese selbst ernähren kann.

Diese Verbindung von Pflanze und Pilz, die bei vielen, wenn nicht den meisten Pflanzenarten vorkommen, nennt man Mykorrhiza. Pilze haben die Fähigkeit, organische Stoffe im Boden abzubauen. Dadurch setzen sie u.a. Mineralstoffe frei, die dann den Pflanzen zur Verfügung stehen. Pilze können auch unlösliche Mineralien im Boden löslich machen und der Pflanze liefern. Es ist also so, dass die Orchidee eigentlich auf dem Pilz schmarotzt. Ob der Pilz umgekehrt Vorteile von dieser Symbiose hat, ist noch umstritten. Es könnte sein, dass er von der Orchidee umgekehrt Zucker bekommt.

Im Internet kann man sich sehr ausführlich über Mykorrhiza informieren:

Diese Zusammenhänge wurden wesentlich von dem Franzosen Noël Bernard und dem Deutschen Hans Burgeff in den Jahren nach 1900 entdeckt. Sie konnten nach dieser Methode bereits damals Orchideensamen keimen lassen. Dieses Verfahren nennt man symbiotisch. Der Amerikaner Lewis Knudson fand dann eine Methode, ohne Symbiosepilz auf einem künstlichen Nährboden mit Zucker als Energiespender Orchideensamen zum Keimen und zur weiteren Entwicklung zur fertigen Pflanze zu bringen. Diese Methode nennt man asymbiotisch.

Wer sich über die Arbeit von Noël Bernard informieren möchte kann sich folgenden Link anschauen, der allerdings in französischer Sprache verfasst ist:

Der Titel „NOËL BERNARD ET LA SYMBIOSE“ wird allerdings in einem Übersetzungsprogramm zu „Weihnachten Bernard und die Symbiose“.

Im nächsten Teil gehe ich grundsätzlich auf die asymbiotische Vermehrung und auf dazu nötige noch einfache Nährböden ein.



© Text und Bilder: Dr. Claus Rüdiger Bernert - @