Die Aussaat von Freilandorchideen

- Teil 2 - Asymbiotische Vermehrung -



Wenden wir uns nun der asymbiotischen Vermehrung zu. Asymbiotisch ist der Gegensatz zu symbiotisch, d.h. ohne die Zuhilfenahme von geeigneten Symbiosepilzen. Die asymbiotische Kultur bietet den Samen und später den Sämlingen auf einem Nährboden alles das, was sie zur Keimung und zum weiteren Wachstum benötigen. Zumindest das, was die Forscher bislang herausgefunden haben. Es gibt Hinweise aus der symbiotischen Kultur, dass der Pilz in manchen Phasen doch Vorteile für die Keimung und für die gekeimten Sämlinge hat.

Bei Pflanzen anderer Familien ist das relativ einfach, man nimmt ein geeignetes Substrat, z.B. Gartenerde, sät die Samen darin aus und wartet auf die Keimung. Dies ist bei Orchideensamen leider nicht möglich, die Schwierigkeiten machen die Vermehrung aus Samen aber auch besonders interessant. Blumensamen z.B. benötigen im Boden vorhandene Mineralsalze und Wasser, um zu wachsen, die dazu benötigte Anfangsenergie bringen die Samen in Form von z.B. Stärke mit. Später ernährt sich die Pflanze dann durch die Sonne mittels Fotosynthese.

Es gibt ganz wenige Ausnahmen, in denen man auch Orchideensamen auf einem organischen Substrat ohne Zugabe eines Pilzes zum Keimen bringen kann, z.B. bei Bletilla striata. Diese Samen haben aber auch geringe Mengen an Reservestoffen mitbekommen, die nach der Keimung helfen. Geeignet sein sollen Blumenerde oder Rinde, ich habe da keine Erfahrung.

Orchideensamen benötigen ebenfalls Mineralsalze und Wasser, aber sie brauchen auch einen löslichen Energiespender, da sie nicht mit Reservestoffen ausgestattet sind, dazu dient dann Zucker. Dies kann Haushaltszucker (Rohrzucker, Rübenzucker) sein, sog. Saccharose, englisch auch „sucrose“ genannt, aber auch Traubenzucker (Glucose) ist geeignet. Da von Traubenzucker behauptet wird, er könne beim Sterilisieren des Nährbodens pflanzenschädliche Produkte bilden, nehme ich schon der Einfachheit halber den Haushaltszucker. Der bekannte amerikanische Orchideenzüchter William Steele zieht für die asymbiotische Kultur von Cypripedien Glucose vor und meint, damit bessere Erfolge zu haben. Sie ist Bestandteil des nach ihm benannten Steele-Bodens. Fruchtzucker soll weniger geeignet sein, ich habe ihn noch nicht verwendet.

Wir brauchen also zunächst einen Nährboden, der Zucker als Energiespender enthält, natürlich Wasser, und er muss eine relativ feste Konsistenz haben, weil die gekeimten Sämlinge in einer flüssigen Suppe über längere Zeit ertrinken würden. Außerdem sollen sie ja aufrecht wachsen, damit sie eine normale Form bekommen. Bewährt hat sich Agar-Agar als Geliermittel, ein Polysaccharid aus Algen, das nur schwer biologisch abzubauen ist und dadurch ein langzeitstabiles Gel bildet. Agar wird nicht von den Pflanzen als Nährstoff verbraucht, d.h. das Gel bleibt über viele Monate stabil.

Ich sage hier gleich, dass es nur ganz wenige alternative Stoffe gibt, und die sind auch sehr teuer. Jedenfalls Gelatine, um diese Frage schon vorweg zu beantworten, ist ungeeignet, weil sie ein Stickstoffdünger ist, von den Pflanzen verarbeitet wird und sich verflüssigen würde. Auch Agar kann sich verflüssigen, wenn er mit bestimmten Schimmelpilzen infiziert wird; denn diese haben die Fähigkeit zum Abbau des Agars geeignete Enzyme zu bilden.

Agar ist also den Samen bzw. Pflanzen gegenüber inert, d.h. er dient nur als Unterlage, nicht aber der Ernährung der Sämlinge. Am einfachsten kann man einen Nährboden mit fein gemahlenem Agar herstellen, der in Reformhäusern erhältliche Agar in Blattform löst sich deutlich schlechter auf, ist aber grundsätzlich auch verwendbar. Man spricht ja vom „Nährboden kochen“, d.h. der Agar löst sich im Wasser erst in der Siedehitze auf, und man muss dann auch einige Zeit rühren. Da er im heißen Wasser zu Boden sinkt, spürt man ihn beim Rühren mit dem Löffel, erst bei fast 100°C merkt man, dass er sich löst. Über die notwendige Menge an Agar ist viel diskutiert worden, ich verwende seit Jahren sehr erfolgreich den Agar von Omikron...

...in einer Menge von 6 g pro Liter. Nehme ich weniger, so wird mir der Agar zu weich, die Sämlinge kippen leichter um, nehme ich mehr, so haben die Sämlinge Schwierigkeiten, mit ihren noch winzigen Wurzeln einzudringen, um die Nährstoffe aufzunehmen. Ein wenig hängt die Festigkeit des Agars auch von den Inhaltsstoffen ab. Wenn man z.B. Ananassaft zugibt – dazu später mehr – dann kann der Agar deutlich weicher werden. Falls er zu weich erscheint, sollte man dann 7 g/l nehmen.

Dann müssen wir den Pflanzen all das bieten, was sie zur Entwicklung von Blättern, Knolle und Wurzeln benötigen, also Dünger. Dazu gehören zunächst die Hauptnährstoffe Stickstoff (N), Kalium (K), Calcium (Ca), Magnesium (Mg), Schwefel (S) und Phosphor (P). Stickstoff kann man sowohl in anorganischer Form liefern als auch in organischer. Man versucht normalerweise die Hauptnährstoffe miteinander zu kombinieren, also z.B. Kaliumnitrat (KNO3), Kaliumdihydrogenphosphat (KH2PO4), Calciumnitrat (Ca(NO3)2, Calciumphosphat (Ca3(PO4)2), Magnesiumsulfat (MgSO4). Ammoniumnitrat (NH4NO3) liefert auch Stickstoff, ist allerdings für viele Orchideenarten nicht geeignet, weil Ammonium eigentlich ein Pflanzengift ist, andere Arten dagegen, z.B. Dactylorhiza, vertragen es. Dennoch: Vorsicht mit Ammoniumnitrat. Außerdem ist es nicht ohne weiteres zu kaufen; denn es ist auch ein Sprengstoff.

Organischen Stickstoff bekommen wir aus Hefeextrakt, Pepton, Caseinhydrolysat oder einem Aminosäuregemisch wie es für Infusionslösungen bei Nierenkrankheiten oder in den Fitness-Centern zum Muskelaufbau verwendet wird. Die Unterschiede liegen darin, wie weit die Eiweißstoffe in diesen Zutaten bis zu den Aminosäuren abgebaut sind, außerdem in der Art der Zusammensetzung des Aminosäure-Cocktails. Fleisch, Hefe und Soja (für Pepton) sind halt unterschiedliche Stoffe, entsprechend variieren die Aminosäuren. Es gibt bislang keine veröffentlichte Arbeit, in der die Abhängigkeit des Wachstums von den einzelnen Aminosäuren bestimmt worden wäre, lediglich einige wenige wurden auf ihre Wirkung hin grundsätzlich untersucht. Bei 20 Aminosäuren wäre der Aufwand allerdings auch sehr hoch.

Harnstoff ist auch organischer Stickstoff, ich kenne aber kein Rezept für Orchideenböden, das Harnstoff verwendet.

Dann brauchen alle Pflanzen Spurenelemente, das sind hier Eisen (Fe), Mangan (Mn), Bor (B), Zink (Zn), Molybdän (Mo), Jod (I) sowie winzige Mengen an Kupfer (Cu) und Kobalt (Co). Dass Orchideen auch Nickel (Ni) benötigen glaube ich nicht, die in einem amerikanischen Rezept von Bill Steele früher angegebenen ganz winzigen Mengen von 0,001 mg/l Nickel halte ich für Unfug; denn durch das Kochen des Nährbodens in einem Edelstahltopf nimmt dieser sicherlich wesentlich mehr Nickel auf. Die käuflichen Nährböden enthalten als geringste Mengen Kupfer und Kobalt mit 0,01 bzw. 0,1 mg pro Liter Nährboden. Es ist klar, dass man diese winzigen Mengen nicht abwiegen kann.

Die Spurenelemente werden daher über sog. Stammlösungen auf die notwendigen geringen Konzentrationen verdünnt. Dabei löst man zunächst eine genau abgewogene geringe Menge einer Substanz z.B. in 100 ml dest. Wasser und nimmt dann 1 oder 10 ml davon für 1 Liter Nährboden, wobei damit eine Verdünnung auf 1/100stel bzw. 1/10tel erreicht wird. Im Idealfall werden alle Spurenelemente außer Eisen in eine einzige Stammlösung gebracht, von der dann z.B. 1 ml pro Liter Nährboden eingesetzt wird. So mache ich das, und das vereinfacht die Dosierung erheblich. Eisen wird am besten in sog. chelatisierter Form zugegeben, d.h. als Verbindung mit EDTA (Ethylendiamintetraessigsäure). Das EDTA-Molekül umfasst ein Eisenatom, bindet es und verhindert somit, dass eine zu hohe Konzentration an freiem Eisen im Nährboden entsteht. Erst wenn die Pflanzen Eisen aus dem Nährboden verbraucht haben, wird aus diesem Komplex weiteres Eisen freigegeben.

Soweit die Nährstoffe. Pflanzen benötigen aber noch mehr, und in einem Naturboden ist das kein Problem, diese Stoffe sind entweder durch andere Pflanzen in den Boden gebracht worden oder durch Mikroorganismen erzeugt. Im Aussaat- oder Umlegeglas muss man sie aber zugeben, andernfalls können sich die Sämlinge nicht richtig entwickeln. Jedenfalls hat sich die Zugabe von Vitaminen des B-Komplexes sehr bewährt. Das sind die Stoffe:

Thiamin (B1), Nicotinsäure (B3), Pyridoxinhydrochlorid (B6), Biotin und Folsäure. Manche geben auch Riboflavin (B2) und Pantothensäure (B5) zu. Am wichtigsten soll Thiamin sein. Die Mengen sind sehr unterschiedlich, aber es sind auch nur Spuren.

Zur guten Entwicklung benötigen Pflanzen auch noch bestimmte Phytohormone. In einer künstlichen Umgebung muss man diese meistens zumindest zur Keimung auch zufügen, sonst wird man keine guten Ergebnisse erzielen. Eine Komponente sollte in keinem Orchideenboden fehlen, myo-Inosit.

Diese Substanz wirkt ähnlich wie ein Pflanzenhormon.

Richtige Pflanzenhormone sind Auxine und Cytokinine. Wer sich damit beschäftigen will, kann das nachlesen:

Die bekanntesten Auxine sind Indolylessigsäure (IAA) und alpha-Naphthylessigsäure (NAA), die bekanntesten Cytokinine sind Kinetin und Benzyladenin (BA). Diese Stoffe werden nur in ganz winzigen Mengen zugesetzt, d.h. im Beispiel Benzyladenin ca. 0,2 ppm, das sind 0,2 mg pro Liter Nährboden, bei Kinetin ca. 0,5 ppm. Oft werden Auxine und Cytokinine miteinander kombiniert, z.B. 0,2 ppm IAA und 0,5 ppm Kinetin. Benzyladenin wird in der Literatur auch unter der Bezeichnung Benzylaminopurin (BAP), Kinetin auch unter der Bezeichnung 6-Furfurylaminopurin geführt, die Stoffe sind aber identisch. Ich schreibe das hier, weil diese Begriffe in der Literatur durcheinander gehen.

Es gehört schon eine ganze Menge Kunst dazu, so kleine Mengen überhaupt abzumessen. Zum Glück haben aber Praktiker bereits andere Zusätze gefunden, die sowohl Vitamine und Spurenelemente als auch Pflanzenhormone enthalten, ohne dass man allerdings genau weiß wie viel wovon enthalten ist: Ananas, Kokoswasser, Kartoffel, Banane und eine schwedische Kohlrübe. Damit kann man schon etwas anfangen, ohne Analysenwaage und schwierige Beschaffung der Chemikalien. Man nimmt an, dass in diesen pflanzlichen Zusätzen weitere, noch unbekannte Stoffe enthalten sind, welche Wachstum und Entwicklung fördern können.

Der früher häufig verwendete Birkenblutungssaft taucht in neueren Rezepturen nicht mehr auf, evtl. ist er in kommerziellen Nährböden wie z.B. TGZ noch enthalten. Birkenblutungssaft wird in der kurzen Zeit vor dem Austrieb der Blätter aus dem Stamm der Birke gezapft, er soll z.B. IAA und Glutamin, außerdem als Zucker Fructose und Glucose, in Summe ca. 1% enthalten. Ich habe mit Birkenblutungssaft keine besonders herausragenden Ergebnisse erzielt, allerdings ist das auch schon eine Zeitlang her, und damals waren meine eigenen Böden noch wesentlich schlechter. Man kann nur nicht alles ausprobieren.

Ich habe seinerzeit natürlich auch nicht so komplexe Nährböden wie heute gekocht. Einer meiner ersten Nährböden war der sog. Allan-Boden aus:

  • 2,5 g Hefeextrakt aus dem Reformhaus (nicht ideal, da salzhaltig, besser Laborqualität einsetzen!)
  • 1,5 g Sojapepton
  • 7,5 g Zucker
  • 3 g Agar
  • 500 ml dest. Wasser
Man sollte dem Nährboden noch 2% Ananassaft oder 10% Kokoswasser, bezogen auf die Flüssigkeitsmenge zusetzen, um bessere Keimraten zu erhalten. Auch Kombinationen von Ananas und Kokoswasser können überraschende Ergebnisse bringen, beliebt ist auch Kartoffelextrakt. Im Internet gibt es viele solche einfachen Rezepturen, allerdings funktionieren diese nicht mehr bei den schwierigeren Arten.

Auf einer amerikanischen website werden auch viele Rezepturen gezeigt, sie ist aber z.Z. nicht verfügbar, soll jedoch wieder aufgenommen werden. Der Link ist

Sehr schön ist auch die Anleitung von Dr. Svante Malmgren, ein schwedischer Chirurg, der sich seit vielen Jahren sehr erfolgreich mit der Vermehrung von Erdorchideen beschäftigt:

Jetzt haben wir theoretisch alle Zutaten zu einem Nährboden. Halt, da fehlt noch etwas: Aktivkohle. Viele Orchideenarten bilden auf diesen künstlichen Nährböden sog. Phenole, das sind hochmolekulare Verbindungen, an denen Phenolgruppen hängen. Phenole sind aber ganz starke Pflanzengifte, wenn man nichts dagegen tut, so vergiften sich die Pflanzen selbst.

Eine Methode dies zu verhindern oder zumindest abzumildern, ist die Zugabe von Aktivkohle. Diese Substanz hat eine riesige innere Oberfläche, auf der alle möglichen Stoffe hängen bleiben können, auch die Phenole, die damit aus dem Verkehr gezogen werden. Falls man aber Orchideenarten aussät, bei denen keine Phenolbildung erfolgt, und das sind viele, muss man sie auch nicht zusetzen. Manche setzen Aktivkohle deshalb auch nur den Umlegeböden zu, nicht aber den Aussaatböden. Es wurde auch schon heftig darüber diskutiert, ob Aktivkohle nicht verhindert, dass diese winzigen Mengen an Phytohormonen wirksam werden, indem die Kohle sie aufnimmt und nicht wieder abgibt. Ich glaube das nicht; denn zwischen Adsorption und Desorption existiert immer ein Gleichgewicht. Verbrauchen die Sämlinge das freie Hormon, dann gibt die Aktivkohle gleich wieder welches ab. Das ist ähnlich wie bei dem chelatisierten Eisen.

Ein Wort zum verwendeten Wasser. Es sollte unbedingt destilliertes bzw. entionisiertes Wasser eingesetzt werden, weil Leitungswasser sehr unterschiedliche Mengen an Calcium und Magnesium enthält, die dann im Nährboden in undefinierter Menge vorliegen.

Ehe ich auf das sterile Arbeiten eingehe zeigt der nächste Teil die möglichen bzw. notwendigen Werkzeuge.



© Text: Dr. Claus Rüdiger Bernert - @