Die Aussaat von Freilandorchideen

- Anhang: von der Aussaat zum Sämling zur blühenden Pflanze -



Mit den vorangestellten Beiträgen sind nun die Grundlagen der asymbiotischen Orchideenaussaat durch Dr. Bernert dargestellt worden, womit dem interessierten Orchideengärtner ein qualifizierter Einstieg ermöglicht wurde.

Protokorme Cyp. reginae alba
Protokorme Cyp. reginae alba
© Dr. Claus Rüdiger Bernert
Jetzt sind die Samen auf ihren Nährböden in steriler Umgebung und wenn weder irgendwelche Bakterien noch Schimmel- oder sonstige Pilze die Aussaat verunreinigt haben, wird man nach einiger Zeit -das können je nach Gattung, Art und Qualität der Samen Tage, Wochen oder auch Monate sein- beobachten, wie der Samen keimt, Protokorme (= der Übergang zwischen Embryo und kleinem Sämling) bildet und hieraus kleine Sämlingspflanzen entstehen.

Wie ist der Weg dorthin und vor allem, wie geht es dann weiter?

Der folgende Beitrag soll keine kopierfertige Vorlage sein, nach der man hergehen und jede beliebige Orchideen-Gattung oder -Art sicher über den oft verlustreichen und gewundenen Weg von der Aussaat zur blühenden Prachtstaude führen kann. Er ist gedacht als eine Art "Richtschnur", die Einsteigern und Hobbygärtnern die anstehenden nächsten Schritte nach der Aussaat aufzeigt und erste Tipps und Hinweise gibt, worauf zu achten ist. Dabei wird nicht nur viel Raum gelassen für eigene Ideen und Versuche, sondern solche sind oftmals geradezu erforderlich, um für sich selbst die bestmöglichen Resultate zu erzielen. Die erfahrenen Züchter verbreiten ihr Wissen nunmal nicht im Web und halten es schon aus geschäftlichen Gründen lieber für sich. Also bleibt nur eins: Versuch macht klug oder auf Neudeutsch: try and error.

Bevor es losgeht, möchte ich an dieser Stelle jedoch keineswegs versäumen, erneut Herrn Dr. Claus R. Bernert[1] und Herrn Simon Richartz[2] für ihre fachkundige Hilfe und Unterstützung herzlich zu danken. Beginnen wir also dort, wo der letzte Teil der Aussaat-Reihe aufgehört hat, nämlich mit der Zeit ...

  • ... nach der Aussaat: Die Gläser mit den Samen können in normaler Zimmertemperatur gelagert werden. Bei den meisten Erdorchideenarten werden die Aussaatgläser dunkel gelagert. Hier sollte versucht werden, so lange wie möglich ohne Licht auszukommen, da Licht die Bildung von phenolischen Verbindungen fördert.[2] Erst wenn sich genug chlorophyllhaltiges Gewebe gebildet hat, sollten die Gläser ins Licht gestellt werden. Es finden sich bei den Erdorchideen nur wenige Lichtkeimer wie z.B. z.B. Calopogon und Disa.[1] Dagegen keimen Epiphyten vielfach im Licht, man erkennt die beginnende Keimung zunächst an einer Gelbfärbung der Embryonen, die allmählich in Grün übergeht.[1]

  • Umlegen: Aus Platzgründen oder weil z.B. das Nährmedium aufgebraucht ist, können die gekeimten Samen nicht bis zur Pikierreife in dem Gefäß bleiben, in das sie ausgesät wurden. Sie müssen dann umgelegt werden.

    Die Protokorme sollten so lange auf dem Aussaatmedium belassen werden, wie sie sich nicht gegenseitig im Wachstum behindern oder zu große Wurzeln bilden und noch genügend Nahrung haben. Das hat den ganz einfachen Grund, dass kräftigere Protokorme das Umlegen naturgemäß besser überstehen.

    Die Gläser mit den Aussaaten sollten jedoch mindestens in wöchentlichen Abständen einer Sichtkontrolle unterzogen werden. Bei sehr starker Keimung, wenn die Protokorme das Wachstum einstellen oder wenn die Sämlinge einfach zu groß für ihr Gefäß werden, muss umgelegt werden. Gerade bei einer Aussaat in engen Reagenzgläsern mit relativ wenig Nährboden wird die Nahrung schnell knapp und wenn dann nichts geschieht, gehen die Protokorme ein.

    Simon Richartz[2] rät daher dazu, generell nach spätestens vier bis sechs Monaten auf ein neues, frisches Medium umzulegen, da man durch bloße Sichtkontrolle nicht erkennen kann, zu welchem Zeitpunkt das alte Medium mehr schadet als nützt, was jedoch auch von der Art abhängig ist. Nach seinen Erfahrungen sollte i.d.R. auch mehrfach umgelegt werden.

    Andererseits gibt es Arten, die eine sehr lange Zeit bis zur Keimung benötigen. Bei Calypso bulbosa beobachtet man z.B. zunächst nach etwa 8 – 12 Wochen eine gewisse Keimung, aber noch nach einem Jahr kann es eine starke Nachkeimung geben. Also darf man die Aussaatgläser, auf denen sich nichts zeigt, nicht zu früh verwerfen.[1]

    Als Umlegeböden können die Aussaatmedien, wie sie im Beitrag #6 vorgestellt wurden, verwendet werden, nur die synthetischen Hormone wie BAP oder Kinetin lässt man weg.[1]

    Anzumerken bleibt ferner, dass das Umlegen natürlich erneut unter sterilen Bedingungen, also in der Sterilbank oder ersatzweise über Wasserdampf vorgenommen wird, denn es gilt unverändert, die Keimlinge vor jeglichen Infektionen zu schützen.

    Ob die Gläser, aus denen umgelegt wird, zuvor äußerlich desinfiziert werden müssen oder nicht, wird unterschiedlich bewertet.

    Dr. Bernert[1] befürwortet eine solche äußerliche Desinfizierung durch ein Bad in Na-Hypochloritlösung, um keine Keime in die neuen Gefäße zu transportieren. Das Bad besteht bei ihm z.B. aus 70 ml DanKlorix, 290 ml dest. Wasser und ein paar Tropfen Spülmittel. Falls die Gläser im Deckel mit einem Wattestäbchen verschlossen sind, dichtet er diese Stelle zunächst mit einem Stück Paketklebeband ab, um das Eindringen von Desinfektionsflüssigkeit zu vermeiden. Das Tauchen im Desinfektionsbad dauert lediglich ca. 1 Minute. Nicht vergessen: Das Bad ist aggressiv, es müssen Handschuhe, z.B. aus Latex oder Gummi getragen werden. Nach dem Öffnen der Gläser in der Sterilbank wischt man den Rand des Glases noch mit einem mit der Desinfektionsflüssigkeit getränkten Papiertuch ab.

    Herr Richartz[2] hält dies hingegen nicht für notwendig, zumal hierbei auch immer die Gefahr besteht, durch Flüssigkeit etwa zu verschleppen und eine NaOCl-Lösung auch nicht sofort bei Pilzsporen wirkt. Deshalb sieht er von einer solchen Desinfizierung ab.

  • Vernalisieren: Freilandorchideen aus klimatisch kalten Zonen benötigen zum Austrieb im folgenden Frühjahr und für die spätere Blüte eine Kühlphase. Man nennt das Vernalisation.

    Aber auch Mittelmeerarten durchlaufen an ihren natürlichen Standorten im Winterhalbjahr eine kalte Phase, auch wenn dort kein Frost herrscht. Die kleinen Sämlinge vertragen keine ausgeprägten Frosttemperaturen, aber Temperaturen um + 5°C sind günstig[1], d.h. ein normaler Kühlschrank reicht aus.

    Man kann die Sämlinge vor dem Vernalisieren aus den Gläsern nehmen, durch Waschen gründlich vom Nährboden befreien und dann in einem verschlossenen Gefrierbeutel zusammen mit ein paar Tropfen Wasser oder etwas angefeuchteter Perlite in den Kühlschrank legen. Aber die Erfahrung zeigt, dass man die Sämlinge auch in den sterilen Gläsern in den Kühlschrank stellen kann und dann erst im Frühjahr heraus nimmt.[1]

    Cypripedium Sämlinge

    Cypripedium calceolus vor der Kühlung in Pikiergöße -
    ca. 18 Monate nach der Aussaat
    © Dr. Claus Rüdiger Bernert

    Sämlinge z.B. von Cypripedien werden von vielen Züchtern gekühlt oder ungekühlt angeboten, wobei die ungekühlt erworbenen dann i.d.R. vom Erwerber selbst eine Kühlung erhalten sollten.

    Für Cypripedium beträgt die Zeit einer optimalen Versalisation mindestens 12, optimal 16 Wochen zwischen 0° und 8°C.[2]

    Bei Dactylorhiza ist es schon nicht mehr ganz so eindeutig, da sollten es jedoch mindestens 10 Wochen sein, beobachten kann man aber auch eine Brechung der Vernalisation durch eine kürzere Kühlphase kombiniert mit darauf folgendem Antreiben bei hohen Temperaturen.[2]

    Hier, wie auch bei allen anderen Arten, bleibt ein weites Feld für eigene Versuche.

    Bei anderen Arten als Cypripedium oder Dactylorhiza kann man als ersten Ausgangspunkt von einer Kühlphase der (noch nicht ausgetriebenen) Pflanzen über rd. 8 - 12 Wochen in den Gläsern oder in geschlossenen Folienbeuteln im Kühlschrank bei etwa 5°C ausgehen[1], bevor sie in ihre weitere "normale" klimatische Umgebung entlassen werden.

    Es gibt Arten, die nach einer Ausflaschung im Herbst bei geeigneten klimatischen Bedingungen sofort ins Freie gesetzt werden (können), so dass sie dort in den Wintermonaten eine natürliche Kühlung erhalten. Andere wiederum vertragen dies schlecht und zeigen bei einer Auspikierung im Frühjahr deutlich weniger Probleme (Verluste). Wie bereits erwähnt, kann ich hierzu mit keiner kopierfertigen Liste, für welche Art welcher Zeitpunkt optimal ist, dienen, so dass jeder seine Erfahrungen sammeln muss.

    Cypripediensämlinge erwerbe ich persönlich jedenfalls so, dass das Auspikieren ins Frühjahr fällt, womit ich die besten Erfahrungen gemacht habe. Damit sind wir bereits beim letzten Punkt, dem...

  • Pikieren: Der schwierigste und verlustreichste Teil kommt, wenn die unter sterilen Bedingungen herangewachsenen Sämlinge in die "verseuchte", unsterile Natur entlassen werden.

    Feuchtigkeit und Substrat sind bei den frisch auspikierten Jungpflanzen das Wesentliche.

    Jungpflanze Cypripedium franchetii x pubescens Die Sämlinge, die ich bisher erworben habe (es handelte sich hierbei ausnahmslos um verschiedene Cypripedien -z.B. Foto links- und -im Frühjahr 2013- um einige Gymnadenia), wurden in ein rein mineralisches Substrat ohne jegliche organische Zusätze, einem Bims-Seramis-Gemisch und (überwiegend) in Töpfe gesetzt.

    Dort werden sie entweder mit einer schwachen (!) Lösung Flüssigdünger (Wuxal) oder mit ein paar Osmocote-Langzeitdüngekügelchen gefüttert, bevor sie -je nach Entwicklung- nach zwei bis drei Jahren ins Beet gesetzt werden.

    Die Sämlinge nicht zu tief ins Substrat setzen. Bei Cypripedium sollte die Triebspitze gerade bedeckt sein oder "an der Oberfläche kratzen".

    Sorgfältig auf den Wasserhaushalt achten! Die empfindlichen Jungpflanzen vertrocknen und verfaulen noch schneller, als adulte Gewächse. Eine Abdeckung der Pflanzstelle mit einer Moosschicht (lebendes Sphagnum) ist sehr hilfreich zur Regulierung gerade des sonst schnell trocknenden, weil sehr durchlässigen mineralischen Substrats.

    Im ersten Jahr kann zur Steigerung der Luftfeuchte auch eine Kultur in einem dieser Kunststoff-Mini-Gewächshäuser in Erwägung gezogen werden. Die dürfen aber keine Sonne abbekommen, weil sie sich sonst zu schnell aufheizen. Außerdem muss hier besonders auf Schimmelbefall geachtet werden.

    Die Töpfe mit den Jungpflanzen hell, aber sonnengeschützt aufstellen.

    Hier gibt es weitere Pikiertipps von Herrn Simon Richartz (inkl. Bestandsliste Frühjahr 2015).


  • Quellen:

    [1] = Dr. Claus Rüdiger Bernert, Email
    [2] = Simon Richartz von der Fa. Richartz Jungpflanzen GmbH, Pennigsehl, Email

Was das Experimentieren und Ausprobieren verschiedener Wege und Lösungen möglich und vielleicht auch erträglich macht, ist der schon an anderer Stelle erwähnte Umstand, dass eine erfolgreiche Aussaat vielfach große Mengen an Sämlingen hervorbringt, so dass gleich mehrere Versuchsreihen nebeneinander laufen können und Verluste zumindest in gewissem Umfang verschmerzbar sind.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn Leser dieser Beiträge von ihren persönlichen Erfahrungen mit der Orchideenaussaat berichten. Unten ist der Link zum Gästebuch.